David Mitchell – Slade House

Ein blutrot glänzender Umschlag mit erhabener Schrift umgibt das „Slade House“ des Briten David Mitchell. Und so intensiv wie dieses Rot leuchtet, so intensiv ist die Geschichte, die der Autor von „Der Wolkenatlas“ erzählt: Es geht um nicht weniger als das ewige Leben.

Seit Beginn seiner Autorenschaft verfolge ich David Mitchell und habe außer seinem bekanntesten Werk alle Romane gelesen. Stets war ich nach der letzten Seite zufrieden, ob bei der Jungengeschichte „Der dreizehnte Monat“ oder dem opulenten Historienroman „Die tausend Herbste des Jacob de Zoet“. Außergewöhnlich „Die Knochenuhren“, ein breit angelegter Roman mit unterschiedlichen Zeit- und Handlungsebenen. In Anlehnung an diese Rezeptur folgt nun deutlich komprimierter „Slade House“.

Den Anfang nimmt die Handlung im Jahr 1979. Der zehnjährige Nathan Bishop fährt mit seiner Mutter Rita, einer Pianistin, in die Slade Alley. Gastgeberin des nur über eine schwer zu findende Gasse gelegenen Anwesens ist Lady Norah Grayer. Sie veranstaltet eine musikalische Soiree, bei der übrigens auch Yehudin Menuhin anwesend sein wird. Die ungewohnte Umgebung schüchtert Nathan ein und die Wirklichkeit erscheint ihm immer mehr von der Normalität abzuweichen. Bis er im Treppenaufgang des Slade House eine Reihe von Porträtbildern entdeckt. Was er auf dem letzten sieht, scheint ihm unfassbar. Vielleicht hätte er doch nicht zwei Valium seiner Mutter heimlich schlucken sollen?

„Ich starre das Porträt an, dann trete ich gegen die Fußleiste; nicht so hart, dass ich mir den Zeh breche, aber doch genug, dass es weh tut. Als ich nicht aufwache, weiß ich, dass ich wach bin.“

Der Roman ist episodenhaft gestaltet, legt von Kapitel zu Kapitel mehr von seiner Undurchschaubarkeit ab und fördert die Geheimnisse des Slade House langsam zutage. Das wird gepaart mit einer unvorhersehbaren Folge von Ereignissen, die nicht immer mit den Mitteln der klassischen Naturwissenschaften erklärbar sind.  Ein „zwischen den Welten“ spielender Bereich, in dem sich der Autor gerne aufhält und mit dem Leser sein fantasievolles Spiel treibt.

Wie schon in anderen Werken versteht es Mitchell dabei meisterhaft, seine Figuren auf nur wenigen Seiten zu charakterisieren und sie zu nachvollziehbaren Individuen werden zu lassen. Mich hat das Buch mit einem Sog umgeben, der dazu führte, es wann immer möglich, zur Hand zu nehmen. Wollte ich doch wissen, wie der Fortschritt bei der Auflösung des Unfassbaren und Sonderbaren zu neuen Erkenntnissen führt und das Geheimnis um die Vorgänge im Slade House lüftet.

Die wiederkehrende Grundsituation – zwischen den Kapiteln liegen immer genau neun Jahre – gestaltet Mitchell variabel und ergänzend. Die Sicht auf die Dinge werden in der Ich-Perspektive wiedergegeben und erzeugen stets das Gefühl des unmittelbaren Dabeiseins. Und obwohl der Leser mit fortschreitender Seitenzahl weiß, was kommen wird, ist die Überraschung der verschiedenen Erzählerfiguren über ihr Schicksal jedes Mal eine emotional mittreissende Tour des Unwirklichen. Ob es nun ein heranwachsender Junge, ein Machopolizist oder eine junge Studentin ist, stets stellt sich die finale Situation neu dar und das langsame Begreifen des Geschehenen wird zu einer bittergrotesken Gewissheit.

David Mitchell legt einen wunderbaren Unterhaltungsroman vor, der als eine Hommage an den Schauerroman verstanden werden kann. Die inhaltliche Verknüpfung der einzelnen Kapitel spinnt ein intelligentes Netz von Wissen und Unwissen – und bietet damit ein besonderes Leseerlebnis. Auch wenn „Slade House“ eine sehr starre Struktur der Handlung vorweist, überzeugt der Roman doch durchgängig mit seiner Personendarstellung, den überraschenden Täuschungen und einer irritierenden Materie, die in Anlehnung an „Trends“ vergangener Zeiten eine faszinierende Spannung erzeugt. Und entgegen der blutroten Aufmachung kommt dieses kleine Werk gänzlich ohne aufsehenerregende Brutälität oder Härte aus. Kopfkino sozusagen.


DAVID MITCHELL, „Slade House“, Rowohlt

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(c)Rowohlt

 

 

 

 

Eine weiterer Beitrag zu David Mitchell:

David Mitchell – Die Knochenuhren

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5 Kommentare zu „David Mitchell – Slade House“

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