Mit dem dritten Band einer Reihe um den Privatdetektiv Nick Stefanos legt der Verlag ars vivendi nun innerhalb eines Jahres wieder eine deutsche Erstausgabe von George Pelecanos vor. So reiht sich „Das dunkle Herz der Stadt“ in die wirre Editionsgeschichte des hochgelobten amerikanischen Autoren („The Wire“) im deutschsprachigen Buchmarkt ein. Gleich mehrere Verlage haben sich an der Herausgabe versucht, ars vivendi hat nun nach „Hard Revolution“ dieses bereits 1995 erschiene Buch aus dem Werk herausgepickt und erfreut damit – vermutlich – einige wenige Enthusiasten.
Die Vorveröffentlichung hat die Messlatte hoch gelegt: „Hard Revolution“ ist ein großartiges Buch, voll gesellschaftspolitischem Zündstoff und einem überzeugenden sozio-kriminalen Handlungsgeschehen. Deshalb hat es der vorliegende Band vielleicht etwas schwer, da die Geschichte der Hauptfigur schon einen Vorlauf hat. Das einzuschätzen bleibt durch die Nichtveröffentlichung der beiden Vorgänger schwierig. 1992 startete Pelecanos seine Buchveröffenlichungen mit dieser Figur. Später entwickelte er andere Figuren und Konstellationen, so dass man nicht mit einer Fortsetzung rechnen kann.
Nick Stefanos ist ein eher ruhiger Typ – ein Mann der in einer Bar in Washington D.C. seine Arbeit verrichtet. Ein guter Beobachter, der seinen Job als Privatdetektiv mehr als anderthalb Jahre nicht mehr aktiv betrieben hat. Alkoholiker der er ist, erlebt er regelmäßig Abstürze in ausgiebigster Form. Die genügsame Weise, in der der griechischstämmige Nick, der von seinem Großvater aufgezogen wurde (denn die Eltern blieben im Heimatland) durchs Leben geht, wird durch eine Musikaffinität begleitet, deren Soundtrack der Autor immer wieder einfügt. George Pelecanos gelingt durchweg eine stimmige Atmosphäre im sozialen Milieu der ehrlichen und einfachen Leute. Ein Drink, eine Zigarette, jedem das Seine. Leben und leben lassen. Eine Welt, in der jeder versucht, sein Glück zu finden. Auch Nick, der eine attraktive und erfolgreiche Journalistin seine Freundin nenen darf, scheint seinen Frieden mit der Welt gefunden zu haben. In der Sucht hat er sich eingerichtet, sieht sein Trinkverhalten nicht immer unkritisch, kommt aber dagegen auch nicht an. Die Auswirkungen nimmt er in Kauf: Ausgedehnte Sauftouren enden am nächsten Morgen nicht selten mit Erinnerungslücken.
„Wie der meiste Ärger in meinem Leben, der mir widerfahren ist oder den ich mir eingebrockt habe, fing auch der in jener Nacht mit einem Drink an. Niemand hat mich gezwungen, ich habe selbst eingeschenkt… .“
So verlässt er eines nachts nach einer ausgedehnten Zechtour sturzhagelvoll die eigene Bar, in der er sich gerne nach Feierabend zum Trinken aufhält, und fährt danach wie durch ein Wunder gesteuert unfallfrei quer durch das dunkle Washington. Die Fahrt endet irgendwann und Nick liegt neben seinem Wagen, immer wieder in Bewusstlosigkeit sinkend. Unfähig zu einfachsten körperlichen Bewegungen, wird er Zeuge eines Mordes. Nur schemenhaft bekommt er die Tat mit. Als er die Leiche Stunden später erblickt, kehrt seine Erinnerung allmählich zurück.
Da ein schwarzer Toter keine besondere Aufmerksamkeit durch die Behörden erhält, wird der Fall schnell als Bandenkriegsopfer angesehen und die Aufklärung abgeschlossen. Doch eine Hinrichtung die von einem Weißen und einem Schwarzen durchgeführt wurde – soweit gehen Nicks Erinnerungen -, scheint ihm für eine Auseinandersetzung unter verfeindeten Banden äußerst merkwürdig. Der Privatdetektiv in Nick erwacht.
„Die Erinnerung fühlte sich an wie eine klamme Hand auf meiner Schulter. Die Sache war als Drogenmord abgehakt worden, wieder so ein schwarzer Junge aus einer miesen Gegend, der vom rechten Weg abgekommen war. Aber ich war in jener Nacht dort gewesen. Und je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr beschlich mich der Verdacht, dass sich alle irrten.“
Unterstützung erhält er von Jack LaDuke, einem jungen Privatdetektiv, der von der Mutter des verschwundenen besten Freundes des Toten angeheuert wurde. LaDuke, dessen persönlicher Hintergrund eine besondere Geschichte in diesem Buch darstellt, steht nicht unbedingt für das Bild des klassischen Privatdetektivs. Gemeinsam machen sich die beiden ungleichen Männer auf die Suche und stoßen bei ihren Ermittlungen auf unterschiedlichste Kreise, mit denen die Jugendlichen zu tun hatten. In kurzen Passagen und mit präziser Sprache schafft es der Autor die verschiedenen Milieus überzeugend zu beschreiben. Sein Blick richtet sich auf das Washington der kleinen Leute, die sich oft in Grauzonen der Legalität aufhalten: Stricher, Immobilienverwalter oder Polizisten. Auch die Darstellung von Jake LaDuke beeindruckt. Zum Ende des Buches darf man sich von dieser anders gestrickten Version des klassischen Hardboiled überraschen lassen.
Pelecanos Nick Stefanos ist ein in sich gekehrter, nicht prahlerisch daherkommender Universalheld, ein mit einer bescheidenen Erwartung an das alltägliche Leben Trinksüchtiger. Das Ermittlergen trägt er nach wie vor in sich; das Schicksal seiner Mitmenschen ist ihm ncht egal. So wächst er nicht über sich hinaus, wenn es sein muss, ist er jedoch auch in der Lage hart auf hart zu gehen. Eine angenehme und sympathische Figur, von der man durchaus mehr lesen würde. Vielleicht ging George Pelecanos nach drei Büchern die Luft für Nick aus. Schade! Immerhin setzt der Verlag ars vivendi seine Edition weiter fort. Das nächste Projekt „Prisoners“ erscheint im Juni 2019 und bringt deutschsprachige Leser in den selten Genuss, das aktuellste Werk des Washingtoner Autoren zu lesen.
GEORGE PELECANOS, „Das dunkle Herz der Stadt“, ars vivendi
