In seinem 20. Auftritt kehrt Jack Reacher in „Keine Kompromisse“ wieder zufällig in ein Spiel auf Leben und Tod. An seiner Seite eine Privatdetektivin, die auf der Suche nach ihrem Kollegen ist und die ohne den ehemaligen Militärpolizisten sicherlich weniger weit gekommen wäre. Lee Child präsentiert einen gut gelaunten Reacher, der am Ende mit Kopfschmerzen zu kämpfen hat.
Ein erstaunliches Phänomen tut sich jedes Jahr auf: Donna Leon veröffentlicht einen neuen Krimi und stürmt die Bestsellerliste den lieben langen Sommer lang. Jedes Jahr reicht es für eine gebundene Ausgabe und die Vorjahresausgabe schafft es im gleichen Jahr später im Herbst als Taschenbuch ebenfalls erfolgreich abzuschneiden. Auf dem heiß umkämpften Krimimarkt eine respektable Leistung. Nur wenige Autoren bleiben über einen langen Zeitraum mit Hardcover-Ausgaben erfolgreich. Zu ihnen gehört auf dem deutschen Buchmarkt inzwischen auch Lee Child. Mit seinen Jack Reacher Abenteuern liegt er inzwischen im Leon-Rhythmus und hat sich einen festen Leserstamm erarbeitet. In diesem Jahr schaffte es der neue Band bis auf Platz 6 der Spiegel-Bestseller-Liste. Grund genug für den Verlag den nächsten Band bereits im Herbst 2019 herauszugeben.
Auch ich gehöre zur festen Fangemeinde des schlagkräftigen Individualisten. Die Dosis lautet: Ein Reacher pro Sommer. Einer reicht, denn die wiederkehrende Formel aus der die Reihe besteht, soll sich nicht zu sehr abnutzen. Was sonst schnell zu langweiliger Routine wird, überzeugt gerade hier: Die absolute Wiedererkennbarkeit, die stetige Konstanz von Leitsätzen und Verhaltensweisen, Denkschemata und Charakteristik der Hauptfigur. Mal gelingt die Neuansetzung der Mixtur besser, mal schlechter. Jedoch bedeutet schlechter eben nur weniger überraschender, als erhofft. Hinzu kommen kleine Einsprengsel aus der Vergangenheit des Protagonisten, die ein Biographie-Puzzle von Buch zu Buch ergeben.
„So oder so hatte Reacher Lust, die Wahrheit herauszufinden. Er hatte kein bestimmtes Ziel und beliebig viel Zeit, um es zu erreichen, sodass Umwege ihn nichts kosteten. Deshalb war er hier ausgestiegen.“
„Mothers Rest“ heißt ein Ort, der auf dem Weg nach Chicago Reachers Interesse weckt. Ohne Termindruck wählt er diesen als Zwischenstop auf seiner Zugfahrt aus, um herauszufinden, wonach der Ort benannt wurde. Auf dem Bahnsteig des kleinen Ortes trifft er auf Michelle Chang, die ihn zunächst mit einem anderen Mann verwechselt. Wie sich herausstellt ist die junge Frau eine ehemalige FBI-Ermittlerin, die ihren Kollegen vermisst. Inmitten von Weizenfeldern, die sich auf dem flachen Land bis zum Horizont abzeichnen, ist es völlig rätselhaft, weshalb ihr ebenfalls ehemals beim FBI angestellter Kollege an einem Ort, der als Getreideumschlagplatz dient, verschwunden ist.
„Nur eine Kleinstadt wie jede andere.“
„Keine Kompromisse“ steht in der Tradition der Reihe fast schon vorbildhaft. Der Titel könnte für die kompromisslose Umsetzung der Konzeption stehen. So tickt die Uhr in Reachers Kopf nach wie vor auf die Minute genau, die Zahnbürste steckt neben etwas Geld und der Kreditkarte als einziges Gepäck in der Hosentasche… Neuigkeiten aus dem vergangenen Leben bleiben diesmal aus, dafür bietet eine rege Reiseaktivität quer durch die USA für abwechslungsreichen Hintergrund. Man kann sogar soweit gehen und „Keine Kompromisse“ als modellhaft bezeichnen. So könnte dieser Band tatsächlich auch für Neueinsteiger interessant sein. Ein Vorwissen ist nicht notwendig.
Weitere Einblicke in die Welt von Jack Reacher gibt es in den Besprechungen zu „Im Visier“ , „Der letzte Befehl“ und „Die Gejagten“ .
Für alle langjährigen Child-Leser ist „Keine Kompromisse“ ein Routinetrip mit dem Einschlag moderner Technologie, auf die der analog eingestellte Reacher trifft. Das in den Weizenfeldern ein nicht ganz harmloses Geheimnis zu finden ist, bleibt dem bis zum Ende gut gehaltenen Spannungsbogen vorbehalten. Für diesen Sommer habe ich meine Dosis bekommen. Sie hat gewirkt.
LEE CHILD, „Keine Kompromisse“, Blanvalet

Wie du schreibst, beste Sommerlektüre. Dosiert zu genießen 😉 Mir gefiel der neue ebenfalls, wenn auch mit kleinen Abstrichen.
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