Während ich mit Umzug und Arbeitsplatzwechsel beschäftigt war, kam die Meldung: Philip Roth ist verstorben. Es fehlte die Zeit für ein Innehalten, bei dem ich die Bücher in die Hand nehme und mir die Geschichten in Erinnerung rufe, die in der Vergangenheit für viele Stunden meine Begleiter waren. Jetzt habe ich ein weiteres Werk von Philip Roth gelesen und hole nach, was vor zwei Jahren nicht möglich war: Ich nehme mir Zeit für einen Abschied.
Irgendwann im Leben gibt es diesen seltenen Moment der Entdeckung, bei dem einem klar wird, von diesem Autor will man nicht nur ausgewählte Bücher lesen, so groß war die Freude an den bisherigen Werken. Ein Glücksgefühl durchzieht die Erkenntnis, einen Autoren für sich gefunden zu haben, der einen an sich zieht – und wird begleitet von einer Vorfreude auf weiteren Lesegenuß. Es ist folglich beschlossene Sache nicht nur alles lesen zu wollen, sondern sich so schnell wie möglich viele Bücher ins Regal zu stellen. In meinem Regal stehen viele Bücher von Philip Roth. Die Bände umfassen fast das komplette Werk des amerikanischen Ausnahmeautoren. Die Lesebilanz liegt nahe der Hälfte. Bleiben glücklicherweise noch viele, vorallem frühere Werke für eine zukünftige Lektüre. Eine teilweise gelesene Rowohlt-Monografie ergänzt die Auswahl.
Philip Roth ist am 22. Mai 2018 im Alter von 85 Jahren verstorben. Er war einer der großen amerikanischen Autoren, der seinem Land verbunden war und trotzdem ehrlich und offen seine Meinung vertrat; der seine jüdische Identität zum Thema machte und schon in frühen Jahren sehr moderne Bücher schrieb. Nicht allen gefiel das. Schnell erreichte er Bekanntheit und konnte sich als unabhängiger Autor etablieren. Er fand seine Leser und hatte die Möglichkeit weiter das zu schreiben, was er wollte. Und wie er wollte. Seine Bücher sind sicherlich nicht immer eine einfache Lektüre, anspruchsvoll bis intellektuell, und doch unterhaltsam. Der Humor tiefsinnig, oft zwischen den Zeilen versteckt. Die Figuren bis ins Innerste aufgebrochen, offen ihre geheimsten Gedanken. Persönliche Beziehungen und gesellschaftliche Verhältnisse werden nicht selten extrem strapaziert. Das Außergewöhnliche im Alltagsleben zu finden, seine Figuren mit den Schwierigkeiten des Miteinanders zu konfrontieren, das gelang Roth immer wieder. Ganz nah an den historischen Gegebenheiten der damaligen Gegenwart, sind sie heute nicht nur Zeugnis der jüngeren Vergangenheit, sondern in ihrer psychologischen Skizzierung zeitlos.
Bereits 2012 hat sich der 1933 in Newark, New Yersey geborene Roth vom Schreiben zurückgezogen. Die Nachricht betrübte mich damals. Um Roth war es danach stiller geworden. Die frühe Skandalzeit war längst vorbei und ist nur noch Legende: Sein Erfolg überschattete seine Gegner. Zahlreiche Preise, oft gleich mehrmals, wurden ihm zugesprochen. Allein der Nobelpreis fehlt, für den ihn eine große Mehrheit der Literaturkritik für würdig hielt. Ob posthum noch etwas aus der Schreibtischschublade gezogen wird, bleibt abzuwarten. Doch ein Mann wie Philip Roth scheint mir dafür vorgesorgt und reinen Tisch gemacht zu haben. Schließlich war sein Entschluß, mit dem Schreiben aufzuhören, ein ganz bewusster, vernunftgesteuerter Vorgang. Aufhören, bevor es zu spät ist. Schreiben, dass war Arbeit für den äußerst produktiven Dichter. Die Mühen, die das bereite, waren mit zunehmenden Alter größer. Abstriche am Ergebnis wollte er nicht. Eine respektable und von Einsicht geprägte Entscheidung.
Der Begriff „Lieblingsbuch“ gehört ja zu diesen überstrapazierten Begriffen der Lesergemeinschaft. Ohne Frage hat Roth in dieser Kategorie bei mir gepunktet. Zu meinen persönlichen „Lieblingsbüchern“ gehört zweifellos „Der menschliche Makel“. Der Roman um einen geschassten Professor, der durch eine ihm rassistisch ausgelegte Bemerkung, aus seiner bis dahin gleichmäßig verlaufenden Karriere gerissen wird, besticht durch seine Verflechtung verschiedener Geschichten. Beeindruckend die Darstellung des Leidens amerikanischer Vietnamveteranen. Das die Pointe des Romans, der Vorwurf des Rassismus eigentlich völlig absurd ist, wird durch die Lebensgeschichte der Hauptperson Stück für Stück herausgearbeitet. Ein vielseitiges Porträt Amerikas.
Und noch ein zweites Buch von Philip Roth hat mich tief beeindruckt. Vielleicht, weil dieses Werk so unglaublich anders war, als alles was ich bis dahin gelesen hatte. Ich empfand das Buch als völlig unverschämt und provozierend. Getragen wird dieser Eindruck von einer skandalösen Hauptfigur: Schamlos, unsymphatisch und ein wenig verrückt, Künstler und tragische Person. Die Rede ist von Mickey Sabbath aus „Sabbaths Theater“. Für mich steht dieser Roman nahezu gleichberechtigt neben „Der menschliche Makel“. Seine Leser muss das Buch über die direkte Lektüre finden: Man mag es, oder legt es bald zur Seite.

Anlässlich dieses Abschiedes habe ich nun nach langer Zeit wieder ein Buch von Philip Roth gelesen. Das sehr persönliche „Mein Leben als Sohn“ wirkt, nach dem sein Verfasser selbst verstorben ist, tröstend auf mich. Roth erzählt die Geschichte vom gesundheitlichen Niedergang seines Vaters, blickt dabei zurück auf dessen Biographie und natürlich auf seine selbst. Die Veränderung des Beziehungsgeflechts Eltern-Kind, die mit einer Umkehr der Verantwortungsebene einhergeht, beschreit Roth in genialer Weise mit gehörigen Portionen von Rührseeligkeit gepaart mit seinem unverwechselbaren Beobachterblick, aus dem sein situativer Humor entsteht und den Text somit zu keiner tieftraurigen Chronologie werden lässt. Durch die vielen Geschichten und Anektoden aus der Vergangenheit seines Vaters, aber auch aus seinem eigenen Leben, wird der Text zu einem lockeren Rundumschlag und feiert damit das Leben. Das am Ende eines solchen Schwierigkeiten entstehen, Entscheidungen gefällt werden müssen im Angesicht von körperlichen Verfall und der Tod in ein reales Zeitfenster rückt, dessen ist sich Roth stets bewusst und klammert nichts von den unangenehmen Details aus. Einige Monate vor dem Tod des Vaters erleidet der Sohn selbst eine ernsthafte Situation und muß operiert werden. Der Gedanke, dass der sterbenskranke Vater seinen Sohn überlebt, bekümmert Roth intensiv. Es ist anders gekommen, und wie wir wissen, hat Philip seinen Vater noch lange überlebt und die Welt mit seinen Büchern beglückt.
Auch nach dieser Lektüre empfinde ich erneut Dankbarkeit und Respekt vor der Leistung von Philip Roth. Er war ein Autor, der sich in seinem Leben einigen Konfrontationen gegenübersah und stets für die ungewöhnliche Darstellung seiner jüdischen Identität eintrat. Seine Hauptfiguren sind keine Vorzeigegläubigen. Was das Leben für sie bereit hielt, verpackte der amerikanische Autor stets mit einem zwinkernden Blick in seine Bücher. In meiner persönlichen Autorenauswahl bleibt ihm ein fester Platz. Und so werde ich immer mal wieder an mein Regal gehen und ein schon lange wartendes Exemplar von Philip Roth herausziehen.
Die Werke von PHILIP ROTH sind im Hanser Verlag erschienen und bei Rowohlt und dtv als Taschenbuch erhältlich
Was für eine schöne Würdigung dieses einzigartigen Autors, die in mir zudem auch die Lust geweckt hat, mal wieder eins seiner ungelesenen Bücher aus dem Regal zu holen.
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Grosser Autor!
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