Pete Robinson ist ein typischer Vertreter im literarisch-experimentellen Kosmos von Donald Antrim. Ein Mann mittleren Alters, sprachbegabt und äußerst mitteilsam, der in seiner Erzählung gerne von einem zum anderen Gedanken springt und der durchaus als gebildet bezeichnet werden kann. Er lebt in einer nicht näher bezeichneten meeresnahen Kleinstadt und spielt mit dem Gedanken, ihr Bürgermeister zu werden. Erfüllt jemand, der sich für mittelalterliche Foltermethoden interessiert und in seinem Keller das Miniaturmodell einer portugiesischen Folterkammer aus dem 16.Jahrhundert nachbaut, die Voraussetzungen dafür ein geeigneter Kandidat zu sein?
Doch die eigentliche Frage ist, will man in einer Stadt leben, in der der Bürgermeister mit Stinger-Raketen den Botanischen Garten beschießt und anschließend von seinen Bürgern gevierteilt wird? In der zwei rivalisierende Familien im Bürgerpark eine militärische Fehde austragen und dabei Minen auslegen? Oberflächlich betrachtet ist es eine Stadt, die ein vergleichbares und gewöhliches Abbild anderer Gemeinden darstellt. Man geht Einkaufen, trifft sich im Privaten oder engagiert sich im öffentlichen Bereich. Gleichzeitig ist es völlig normal, dass man in seinem Garten Fallgruben oder andere Sicherungsanlagen zur Abwehr anlegt. Wer da abgewehrt werden soll und warum, bleibt ebenso unklar, wie die Gründe für die allseits verstopften Küchenabflüsse, die mysteriöser Weise überall auftreten.
Eine Menge Unwägbarkeiten, doch der zum Chaos neigende Pete Robinson stellt sich vor, seine so sonderbare Heimatstadt, zu einem besseren Ort zu machen. Was das genau heißen soll und wie er das anstellen will? Zunächst möchte der arbeitslose Lehrer damit punkten, dass er sich an diversen öffentlichen Versammlungen und Aktionen wirksam präsentiert. So inspiriert ein von ihm gehaltener Vortrag über mittelalterliche Folterungen schließlich die monströse Tötung des Bürgermeisters. Andererseits will er in seinem Haus eine Privatschule eröffnen, um damit der bildungsgeschwächten Stadt ein positives Signal zu bieten. Das er am Ende gerade mit der Ausführung dieser Idee zeigt, wie begrenzt seine pädagogoschen Fähigkeiten sind und wie weit entfernt er davon ist, das Amt eines Bürgermeisters auszufüllen, gehört zu den vielen skurrilen Momenten dieses kurzen und intensiven Romans.
Das Buch erschien im Original bereits 1993 und ist noch wunderbar frei von den Hintergründen der technischen Möglichkeiten, die in den Folgejahren das Leben so maßgeblich verändert haben. Es wäre interessant, wie Antrim diese heute alltäglichen Dinge in seine Geschichte eingebunden hätte, in der es noch viel mehr, als hier erwähnt, zu entdecken gibt. Beispielsweise die esoterischen Erfahrungen von Pete’s Ehefrau Meredith, die sich in Gestalt eines Quastenflossers wiederfindet, oder der wahnwitzige Versuch einer rituellen Beerdigung einzelner Körperteile des getöteten Bürgermeisters.
Das Lesen eines Buches von Donald Antrim ist immer eine Gratwanderung. Auf der einen Seite wird man sehr unkonventionell unterhalten, auf der anderen ist man ständig bemüht, der ungewohnten gedanklichen Struktur des Erzählers zu folgen und Sinn oder Unsinn herauszufiltern. Bei aller Anstrengung lohnt es aber unbedingt, sich dieses sprachlich sehr genaue und phantasievolle Werk vorzunehmen. Denn nur selten wagen Autoren den radikalen Schritt, andere Wege des Erzählens zu gehen. Ein weiteres äußerst gelungenes Werk des 1958 in Sarasota, Florida geborenen Schriftstellers dafür ist der Roman „Die Hundert Brüder“.
In „Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt“ stößt die normale Welt auf den Ansporn eines Schriftstellers, mittels Übertreibung zu überraschen. Manchmal bleibt einem das Lachen im Hals stecken, so vertrackt verknüpft sind die realen Bezüge mit den fiktiven Ideen. So sollte man sich auch an dieses abwegige Aufkommen von Gewalt gewöhnen, das für die Figuren wiederum ein ganz normaler Bestandteil des Lebens zu sein scheint. Eine Normalität, in die wir Leser zum Vergnügen abtauchen und auf jeden Fall mit überraschter Miene zurückkehren.
DONALD ANTRIM, „Wählt Mr. Robinson für eine bessere Welt“, Rowohlt
Eine weitere Besprechung zu Donald Antrim: „Die Hundert Brüder“
Mein Antrim-Fave.
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