Der Berg ruft! – und das gleich zwei Mal. Mit „Bull Mountain“ und „Bull Mountain Burning“ hat der Suhrkamp Verlag zwei Perlen im Programm, die mich unweigerlich an die grandiose TV-Serie „Justified“ (basiert auf einer Figur von Elmore Leonard) erinnern. Der amerikanische Autor und Feuerwehrmann Brian Panowich hat eine Familien- und Hillbillygeschichte zu Papier gebracht, die voller Lokalkolorit ist und die tief in die Geschicke eines im Verborgenen agierenden Drogenimperiums eintaucht.
„Bull Mountain“ ist das Debüt von Brian Panowich, 2015 im Original erschienen, das später mit „Bull Mountain Burning“ eine Fortsetzung erfuhr. Ich nutzte die Gelegenheit beide Bücher hintereinander zu lesen und tauchte für 670 Seiten in die im Norden des Bundesstaates Georgia gelegene unzugängliche Gegend im McFalls County ein. Zum genauen Inhalt und den jeweiligen Personen wird es hier nicht viel zu lesen geben; das darf und soll selbst entdeckt werden. An dieser Stelle soll es eher eine Einordnung geben, welche Art von Lektüre einen erwartet. Denn sagen wir, wie es ist: Diese Bücher sind nichts für zarte Gemüter.
Mittelpunkt des Geschehens ist Bull Mountain, ein Berg, mit schwer zugänglicher Natur und verschlungenen Wegen und Pfaden, der über Generationen hinweg von einer verschworenen Gruppe Menschen bewohnt und für verschiedene Produktionen genutzt wird. Es ist ein Stück Heimat, dass nicht nur Besitz ist, sondern zur Grundlage des eigenen Daseins stilisiert wird. Bevölkert ist diese Gegend von Hinterwäldlern, die mit einer den Drogen zugewandten Emotionalität ausgestattet sind, die den eiligen Griff zu jedweder Art von Waffe hervorruft. Das darf gerne auch die eigene Faust sein, denn mit einer überlegten Handlungsweise können die meisten nicht aufwarten. Gelebt wird ein einfaches Leben, mit einfachen Standards und keiner Hochkultur. Der Umgangston ist rauh und direkt, dabei nicht ohne Witz, oft provozierend und herausfordernd. Und so ist klar, wie Meinungsverschiedenheiten oder Fehlentwicklungen geklärt werden.
Angeführt werden sie vom Burroughs-Clan, den härtesten Männern der Gegend. Einschüchternde, grobschlächtige Kerle, die mit Intelligenz ausgestattet, ein Wirtschaftsunternehmen leiten, bei dem Sicherheitsaspekte neben der Überwachung der Produktion keine unwesentliche Rolle spielen. Unerbittlich gehen sie gegen Freund und Feind vor. Finanzielle Aspekte geraten gegenüber der eigenen Tradition schnell in den Hintergrund. Denn wenn es um die eigene Familie geht, dann verstehen die Burroughs keinen Spaß. Bull Mountain wird dabei mit dem Ursprung des eigenen Lebens gleichgesetzt und ist nicht nur einfach eine Einkommensquelle. Für die Verteidigung dieses emotional besetzten Ortes ist man bereit alles zu geben. Diese langgehegte Logik erzeugt Handlungsweisen, die für Außenstehende wie die von Wahnsinnigen wirken können.
Beide Romane unterscheiden sich in ihrem Aufbau und dem abzuhandelnden Zeitrahmen. In „Bull Mountain“ springen die Kapitel in der Zeit, sind aber so geordnet, dass sie ineinandergreifen und dem Leser immer wieder in zeitlich versetzten Rückblenden die Familiengeschichte eröffnen. Im Mittelpunkt stehen dabei die männlichen Nachfahren der Burroughs, die für die Geschicke auf Bull Mountain maßgeblich verantwortlich sind. Das Frauenbild dieser meist traditionell gesteuerten Patriarchen wird durch ihre Stellung und ihrem Selbstverständnis als Anführer geprägt und sieht die Partnerinnen vorallem als Untergebene und in der Mutterrolle verpflichtet. Einzelne Kapitel sind aus der Perspektive von zwei dieser Frauen gestaltet und man merkt sofort, dass diese eine gänzlich andere Sicht auf die Dinge haben. Immer sind es jedoch die Väter, die ihre Söhne erziehen. Streng und stets paranoid, schüren sie Ängste, um ihre Macht zu stabilisieren. Bis in die fünfte Generation reicht die Historie, die teils unvorstellbare Brüche aushalten muss. Gewalt dient nicht außschließlich zur endgültigen Klärung, sondern wird zur Abschreckung auch prophylaktisch eingesetzt. Die Brutalität, die eine unversöhnliche Konsequenz besitzt, trifft nicht nur Außenstehende, sondern macht auch nicht vor Vertrauten halt. Innerfamiliäre Konflikte zeichnen sich dabei durch eine besondere Dynamik aus. Die als monarchisch zu bezeichnende Herrschaftscharakteristik der Burroughs beruht auf Eigenständigkeit und Kontrolle ihres Anführers und gilt als Maßstab des Überlebens in einer ständig bedrohten Lage. Wer von der vorgegebenen Linie abweicht, hat es schwer und muss mit Konsequenzen rechnen.
Einmal in die Historie eingearbeitet, lohnt es sich, beide Bände hintereinander zu lesen. Die Fortsetzung greift auf eine chronologische Erzählung zurück, nicht ohne die Vergangenheit zu thematisieren. Im Mittelpunkt steht die Zukunft des Burroughs-Imperiums: Konkurrenten, Neider und die Staatsmacht bedrängen die bisherige uneingeschränkte Macht des Clans. Wer ist noch wohlgesinnt, wem kann man noch vertrauen? Im Stil des Vorgängers wird das Niveau fast gehalten, wobei die komprimierte Dynamik des ersten Bandes kaum zu übertreffen ist. Liest man also die zwei Bücher zusammen, hat man das Erlebnis des längeren Verweilens in einer sehr speziellen Welt. Und Panowich bringt schließlich alles zu einem Ende, zu dem man als Leser sagen kann: Gut gemacht.
BRIAN PANOWICH, „Bull Mountain“ + „Bull Mountain Burning“, Suhrkamp