Haruki Murakami – Erste Person Singular

Nicht immer müssen die Dinge und Ereignisse in unserem Leben einen tieferen Sinn ergeben. Und nicht immer lassen sich die Dinge und Ereignisse in unserem Leben bis auf das Letzte ergründen. Ja, und nicht immer ist die Lektüre von Texten, die sich an den vorangestellten Aussagen orientieren, eine besonders anregende oder erfreuliche Lektüre. Der neue Erzählband „Erste Person Singular“ von Haruki Murakami kann sich rühmen, trotz Erfüllung der Aussagen der ersten beiden Sätze, auf vollkommendste Weise zu unterhalten.

Eigentlich ist es verwunderlich, dass ich in fast sechs Jahren keine Zeile zu Haruki Murakami verfasst habe. Vielleicht liegt das an meiner leichten Enttäuschung über einige der letzten Veröffentlichungen. Die beiden monumentalen Werke „1Q84″ und“ Die Ermordung des Commendatore“ konnten mich nicht so richtig fesseln. Auch wenn ich mir oft wünschte, die Bücher von ihm würden nicht enden, schienen mir diese Werke doch etwas zu lang geraten. Erfreut war ich deshalb über den neuen Band mit Erzählungen. Denn ja, auch ich gehöre zur großen Fangemeinde des Japaners und das Lesen jedes neuen Werkes wird selbstverständlich gebührend zelebriert. Murakami ist somit einer der Autoren mit umfangreichen Werk, von dem leider nichts auf Vorrat für später im Regal steht.

Als 2001 „Naokos Lächeln“ erstmals auf Deutsch erschien, wollte auch ich wissen, was denn am aufkommenden Hype um diesen japanischen Autoren dran wäre. Was für ein Glück, dass es dieses Buch war und nicht das vom TV-Skandälchen des „Literarischen Quartett“ bekannte Büchlein „Gefährliche Geliebte“, von dem ich später nicht so vollends angetan war. Wer weiß, ob ich weitere Bücher zur Hand genommen hätte. Aber dann las ich „Mister Aufziehvogel“ und die Sache war abgemacht. Ich besorgte mir nach und nach die lieferbaren Ausgaben und las mich, immer mit etwas Abstand dazwischen, durch das Werk des immer berühmter werdenden Murakami. Als geneigter Leser von Erzählungen selbstverständlich auch die Sammlungen mit seinen wunderbaren Stories.

Und da wären wir beim aktuellen Band. Ich finde, ein Buch zur rechten Zeit. Heilsam wie ein Treffen mit guten Bekannten, die eine Geschichte aus ihrem Leben zum Besten geben. Unanstrengend zu lesen und überhaupt nicht langweilig. Einfachste Konstellationen und trotzdem voller kleiner Merkwürdigkeiten. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Ausgewogen in allem. Am Ende offen gehalten, der Weg frei für eigene fortführende Gedanken.

Mit den neun Erzählungen streift Murakami die altbekannten Themen seines bisherigen Schaffens. Und obwohl das der nächste Aufguss ist, kann man keinen Makel daran finden. Es ist die pure Entspannung, die diese Zeilen verströmen. Das mag übertrieben klingen, aber die Ruhe kommt aus den Geschichten, die Murakami fast identisch konzipiert hat. Immer geht es um eine Episode aus der Vergangenheit der erzählenden Figur. Dabei hat das ungenaue Erinnern der immer männlichen Erzähler stets auch etwas präzises und alleine die Tatsache, dass sie davon berichten, macht die Begebenheiten doch bedeutsamer, als sie auf den ersten Blick wirken.

Selbstverständlich gehört der Schritt abseits der Realität ebenso dazu, wie die Vorliebe des Autors für Baseball, Jazz oder klassischer Musik. Fast schon zwanghaft vorkommend ist das Verschwinden der weiblichen Freundinnen aus dem Leben der Erzähler. Nur die Katzen kommen etwas kurz weg . Kein Problem, denn Murakami lässt alles wie selbstverständlich erscheinen und auch die merkwürdigen Dinge, die geschehen, werden von den Protagonisten mit erstaunlicher Gelassenheit akzeptiert. Vielleicht liegt hier die Botschaft: Nimm die Dinge so, wie sie sind. Du kannst nicht alles in Deinem Sinne beeinflussen. Also trink doch mal ein Bier mit einem … Kein Spoiler hier, selber Lesen!

Abschließend gibt es nichts gegen die Lektüre von „Erste Person Singular“ vorzubringen. Haruki Murakami hat es geschafft, die Quintessenz seines Könnens in dieses Buch zu packen. Mehr braucht es auch nicht. Die Wirkung der Texte ist heilsam, denn sie nehmen die Lesenden aus ihrem Alltag, entbinden sie ihrer Zeitverpflichtung, umhüllen sie sanft mit ihrer alternativen Realität und lassen für einen Moment die eigene Welt vergessen. Keine schlechte Wirkung in unseren Zeiten, finde ich. Für ein Buch mit Erzählungen.


HARUKI MURAKAMI, „Erste Person Singular“, Dumont Verlag

9783832181574
(c)Dumont

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3 Kommentare zu „Haruki Murakami – Erste Person Singular“

    1. Danke für Deine Aufmerksamkeit! Mir fehlte tatsächlich die Zeit – und auch ein wenig die Lust – zum Schreiben. Aber gelesen habe ich; einige Besprechungen sind angefangen. Mal sehen. Tatsächlich steht ein Beitrag kurz vor Vollendung. Kein Krimi und doch voll kriminellem Millieu: „Harlem Shuffle“ von Colson Whitehead.
      Beste Grüße in die kriminelle Gasse, in die ich immer wieder gerne einbiege!

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      1. Ja, solche Phasen kenne ich auch und habe ich immer wieder mal. Man muss schon die Muße haben und sich nicht selbst zwingen. Es soll schließlich Spaß machen. Aber es freut mich zu hören, dass es Dir gutgeht.

        Auf Deinen Senf zu „Harlem Shuffle“ freue ich mich, denn den habe ich mir gestern in den Warenkorb gepackt. 🙂

        Freue mich immer über Deinen Besuch und schmökere ebenso gern durch Deine Leseseiten
        LG
        Stefan

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