Wer abends auf Eurosport gerade die Zusammenfassungen des Geschehens bei der Rallye Dakar sieht, der hat eine genaue Vorstellung davon, in welchem Umfeld das neue Abenteuer von Kristof Kryszinski, dem ehemaligen Detektiv aus Mühlheim an der Ruhr, stattfindet. In „Nomade“, dem 14. Band der Reihe, erweckt Krimi Preis-Träger Jörg Juretzka nach vier Jahren Wartezeit seine ungewöhnliche Hauptfigur endlich wieder zum Leben.
Da ist er also wieder, unterwegs in einem Gelände-LKW der Marke Mercedes, Baujahr 1959, an seiner Seite Hündin Bella. Fernab der modernen Welt sucht Kryszinski Abstand zu seiner Vergangenheit, zu seinem alten Leben, dass Höhen und Tiefen kennt, vielleicht mehr Tiefen. Der vorallem beim Auffinden von vermissten Personen erfolgreiche Ex-Privatdetektiv, brachte sich nicht nur einmal in prekäre Situationen, aus denen er oft genug mit mehr Glück als Verstand wieder herausfand. Häufig impulsiv handelnd, schlingerte er sich aus bedrohlichen Szenarien, denn eine gewisse praktische und lebensbejahende Intelligenz verhalf im entscheidenenden Moment zu manch originellem Spin und damit zu einem glücklichen Ende.
Doch diesen Zeiten schwört das Bikergang-Mitglied Kristof Kryszinski nun ab. Er fährt lieber durch die einsamen Gebiete der Sahara in Südalgerien und Mali. Tagelang ohne Menschenkontakt, campiert er in der tödlichen Hitze und geniesst das Leben. Wobei die idyllische Ansicht der Dünen bei Mondschein eben auch ihre Schattenseite hat. Mitten im nordafrikanischen Kontinent herrschen andere Bedingungen unter den Menschen. Korrupte Behörden und private Milizen können am Ende über Leben und Tod entscheiden, ebenso wie eine schlecht geplante Wüstentour.
Um einen Aufenthalt in dieser Region zu ermöglichen, muss man Kontakte in alle Richtungen halten. Und so ergibt es sich immer wieder, dass Kryszinski für verschiedene Parteien in der Wüste nach Vermissten sucht. Kein Umweg für ihn, der sowieso lieber dort unterwegs ist. Was er vorfindet dokumentiert er; meistens ist es dann zu spät für gute Nachrichten. Doch das ist ihm auch wieder recht, denn er möchte in keine strittigen Familienverhältnisse einbezogen werden und langwierige Prozesse absolvieren. Mit viel Vorsicht bewegt er sich durch das Gelände, rein fahrtechnisch, um nicht liegen zu bleiben und sicherheitsbedacht, um nicht auf eine Gruppe bewaffneter Männer zu stossen, mit denen man in der Regel nur einmal im Leben Kontakt hat.
Nach einem heftigen Sandsturm verändert sich dann das gesamte Setting von Kryszinskis Leben, den er stösst auf eine Überlebende einer Flüchtlingsgruppe. Und wie stets in seinem Leben, kann er nicht anders, der Ruhrpottler mit der harten Schale und dem eigentlich weichen Herzen, und hilft. Hier setzt sich nun fort, was man aus frühreren Bänden kennt: Chaos, Nerverei, Zeitlimits, bedrohliche Verfolger, Improvisation und immer einen Blick für die Menschen. Mit dabei der unverwechselbare lockere Ton, der gerne zugespitzt eingesetzt, für ein amüsantes Lesevergnügen sorgt.
Mit einem ausgeprägten Gespür für komische Momente und genauer Beobachtungsgabe komponiert Jörg Juretzka seinen unnachahmlichen Mix aus Unterhaltung und Sozialbetrachtung. Dabei ist sein Held reifer und ruhiger geworden, lebt etwas gesünder und vorallem vorausschauender. Das liest sich nach langer Zeit sehr vertraut und gleichzeitig angenehm weiterentwickelt. Der typische Humor, mit regionalem Akzent versehen, trägt über die schwierige Lage der Bewohner und Gestrandeten hinweg, ohne sie damit zu banalisieren. Deshalb gerne mehr, Herr Juretzka. Ihre Literatur macht süchtig.
JÖRG JURETZKA, „Nomade“, Rotbuch Verlag