Drogen sind für T. C. Boyle nichts Unbekanntes. Der amerikanische Ex-Hippie und gefeierte Gegenwartsautor hat ihre Bekanntschaft gemacht. Mit „Grün ist die Hoffnung“ verfasste er eine hinreissende Posse um drei Marihuanna-Anbauer, die mein Einstieg in die realvertrackte Boylsche Welt war. In seinem neuen Roman „Das Licht“ geht es um eine bis heute umstrittene Substanz: LSD.
Ein beliebtes Schema von T.C. Boyle geht so: Man suche sich aus der eher jüngeren Geschichte eine Person, die mit ihrem Verhalten, ihren Ideen und deren Umsetzung neue Wege beschritten hat und dabei in ihrer Wirkungszeit sowohl auf Zustimmung als auch auf Ablehnung gestossen ist. Die groben Fakten dieser authentischen Historie werden dann in eine fiktionale Form gebracht, die sich durch eine Nahsicht an den Geschehnissen auszeichnet. Getragen von Figuren, die sich im unmittelbaren Umfeld befinden und aus ihrer Sicht, mit ihren eigenen menschlichen Problemen kämpfend, eine subjektive – typisch Boylsche – Nacherzählung mit zugespitzten Situationen und zwischenmenschlichen Konflikten zu Gehör bringen.
Ganz neu in diesem Kreis ist nun Timothy Leary, amerikanischer Psychologe, der in den 1960er Jahren die Wirkung von LSD erforschte und mit seinen Methoden die Grenzen konventioneller Forschung und Wissenschaft ausreizte, und gleichzeitig eine gesellschaftliche Kontroverse auslöste, die noch heute zur Polarisierung der Substanz beiträgt. „Das Licht“ erinnert dabei an Boyles Roman „Dr.Sex“, der als Hauptfigur den Sexualforscher Alfred Kinsey hatte.
Der Roman schildert zunächst wie es zur Entdeckung der Substanz und ihrer Wirkung in der Schweiz kam. In drei größeren Abschnitten verlagert sich die Haupthandlung dann in die USA und nach Mexiko. Die Schilderung der Ereignisse übernimmt ein Ehepaar. Er ist Doktorant bei Leary und will sein akademisches Vorankommen erfolgreich gestalten. Seine Frau, die durch ihre Arbeit für den Unterhalt der Familie sorgt, wird zunehmend in die Aktivitäten der Gruppe um Dr. Leary mit einbezogen. Das Leben der beiden, die einen Sohn haben, wird sich völlig verändern und ihre Beziehung auf unterschiedlichste Weise strapazieren. Beispielhaft stehen sie für die Anhänger einer Idee, die von einem starken, die Menschen für sich einnehmend machenden geistigen Führer getrieben werden. Die Wirkung der eingenommenen Substanzen bestärkt die Verbundenheit und auch die Plausibilität der Vorgehensweise.
Die Zugehörigkeit zum „Inneren Kreis“ ist dann auch das erste Ziel. Sie sichert die Teilnahme an den experimentellen Abenden, an denen kontrolliert LSD eingenommen wird und die Wirkung von den Teilnehmern protokolliert wird. Die Dosen erhöhen sich, die Gruppe wird größer und ein negatives öffentliches Echo bringt eine massive Ablehnung der Methodik hervor. Folgerichtig endet die universitäre Unterstützung. Durch die Hilfe von vermögenden Unterstützern wird die weitere Forschung auf privater Ebene weiter betrieben. In einem angemieten Hotel in Mexiko und später auf einem großen Landsitz mitten in der beschaulichen amerikanischen Idylle werden die Regeln und die Ideen immer freier, verändern sich die Lebensgewohnheiten der teilnehmenden Frauen und Männer – und deren Kinder – massiv und koppeln sich vom wirklichen Leben immer mehr ab.
„Entscheidend war, dass sie alles und jeden hinter sich ließen und das in Anspruch nahmen, was Tim als die „Fünfte Freiheit“ bezeichnete: die Freiheit, den eigenen Geist zu erkunden, ohne die Zumutungen, das Missfallen, ja sogar ohne das Wissen der übrigen Welt. Ohne die Spießer. Die Ahnungslosen. Die Massen der Menschen, die ein Leben voll stiller Verzweiflung lebten und nie auf den Gedanken kamen, dass es jenseits von Arbeit und Schlaf und dem, was ihre beschränkten Sinne ihnen von der Wiege bis zur Bahre in einer unaufhörlichen Schleife zeigten, noch etwas anderes geben könnte.“
Bis auf zwei Bücher habe ich von T.C. Boyle alles gelesen. Ich besitze also eine gewisse Routine mit den Überraschungsmomenten, für den ich den Autoren so sehr schätze. „Das Licht“ war für mich kein Buch mit besonders neuen Erfahrungen in Bezug auf Form und Sprache, sondern bot mir vorallem die Geschichte von Leary und LSD, eingebunden in den Zeitgeist der damaligen Zeit. Boyle gelingt wie immer seine Mischung aus Zuspitzung und Konfliktentwicklung als Träger der Handlung. Für mich war der Roman wie ein Zwilling anderer Werke. Gut unterhalten, mit besonderen Momenten, aber kein neuer Impuls, mit dem der Autor mich schon so oft begeistern konnte.
Wer wenig oder kein Boyle kennt, darf mit diesem Roman gerne in die Welt des amerikanischen Autoren eintauchen. Dafür schreibt dieser begnadete Erzähler einfach zu gut. „Das Licht“ ist eine moderne Geschichtsstunde, in der mit hintergründigen Humor menschliche Unzulänglichkeiten offenbart werden, die durch die Gruppenkonstellation einer besonderen Dynamik unterliegen. Darzustellen welche persönlichen Verhaltensänderungen sich daraus ergeben und wie schnell eine Abkehr von einstigen Lebensprinzipien und -vorstellungen für den Einzelnen möglich sind, darin liegt die Meisterschaft von T.C. Boyle.
T.C. BOYLE, „Das Licht“, Hanser Verlag

Mehr über T.C. Boyle in der Besprechung zu „Die Terranauten“
Mit „Wassermusik“ und „Die Terranauten“ habe ich gleich zwei Bücher auf meinem Stapel ungelesener Bücher herumliegen – und ersteres sogar schon ziemlich lange – bei denen mir der Einstieg irgendwie nie gelungen ist.
Vielleicht versuche ich es mit „Das Licht“ nochmal, weil aller guten Dinge drei sind. Wenn ich dann merke, dass es mir erneut so geht, ist es vielleicht Zeit, einzugestehen, dass Boyle und ich nicht füreinander geschaffen sind. 🙂
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Ja, „Wassermusik“ habe ich auch lange ungelesen im Regal stehen gehabt. Der Roman gehört auch nicht zu meinen Favoriten. Das angesprochene „Grün ist die Hoffnung“ kann ich sehr empfehlen und natürlich „America“, eines meiner persönlichen Lieblingsbücher und auf jeden Fall den ‚letzten‘ Versuch wert. Das Buch ist nach wie vor auf der Höhe der Zeit!!!
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Vielen Dank für die Anregung, bei Gelegenheit werde ich den entsprechenden Versuch unternehmen. 🙂
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Boyle ist schwierig. Mir gefällt ungefähr jedes dritte Buch, diese liebe ich dann. Mit Wassermusik und den Terranauten bin ich auch nie warm geworden, gebe aber nicht auf, ich lese an und je nachdem, denn wenn er gut ist dann richtig.
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Dann müsste mein dritter Versuch ja rein statistisch von Erfolg gekrönt sein. 🙂 Nun, wir werden sehen …
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